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Ausz. aus der Eröffnungsrede von Dr. Veronika Heilmannseder anlässlich der Ausstellung UNDER FALLING WATER

[...] Wir dürfen im Schneegestöber ins Kino gehen oder gebetsmühlenartig eine Fichte drehen. Wir dürfen sogar auf eine leichte, elegante Art konzentrische Kreise um schlanke Fichten ziehen.

Wir dürfen immer und immer wieder verfolgen, wie sich das Wasser vom Felsen herab Bahn bricht und zusehen, wie frisches grünes Gras inmitten der Schneewüste vom Frühling kündet.

Wir dürfen Kühe als sinnliche Wesen erleben, wenn sie die Köpfe drehen, um dem Obertonklang aus dem großen Allgäuer Didgeridoo-Alphorn zu lauschen. Anrührend, inmitten der ökonomisierten Stallumgebung.

Doch sind diese Einladungen eines ästhetisierten Blicks doppelbödig.

Als ich das erste Mal von Jonas gehört habe, sagte eine befreundete Galeristin, „der wird Dir gefallen, der möchte, dass man zweimal denkt.“ Ich denke, das ist eine gute Pointierung. So setzen die Arbeiten von Jonas Maria Ried Anreize, den Bergen, Wasser, Wald und Wiesen, der Landschaft, dem Vieh zu begegnen. Doch sie stören unsere Erwartungen immer auch gleich selbst.

Niemals aufdringlich, aber immer konsequent hinterfragt Jonas Maria Ried Erwartungshaltungen, eingeübtes Sehen und Gemeinplätze. Farben und Klänge sind in seinen Arbeiten genauso bewusst eingesetzt wie die Bildsprache und sein eigenes Tun, das er filmisch dokumentiert. Auf dieser Metaebene werden wir hineingezogen in die künstlerische Aussage wie in die symbolische Auseinandersetzung mit den von ihm gewählten Themen.

 

Natürlich stauen wir andernorts Wasserläufe auf, zerstören damit natürliche Habitate und machen uns die Natur rücksichtslos untertan. Was passiert nun, wenn eine Caspar David Friedrich-Figur einen Bach manipuliert und den Wasserfall eigenhändig auslöst, reproduzierbar macht, der Natur enthebt?

Selbstverständlich setzen wir unzählige Growth Cubes in die Welt, um darin – isoliert wie in den White Cubes – künstlich Wachstum hervorzurufen. Egal wie unwirtlich die Umgegend oder wie hoch der Aufwand für ein – im Sinne von Albrecht Dürer – kleineres oder größeres Rasenstück.

Oder wie gern denken wir uns in ein cozy Cabin, eine Hütte, die als modern gesprochenes Hide Away uns dem alltäglichen Trubel der Welt entzieht – ein heimeliger Zufluchtsort! Was macht eine schöne, Kamin gekrönte Hütte, die mit dem Hashtag #cabinporn kokettiert, mitten in einem prasselnden Wasserfall?

Wir werden zu Beobachter:innen der rohen Konfrontation des menschlichen Ursymbols von wärmender Sesshaftigkeit – Haus und Herd – mit der kalten Gewalt der Elemente. So sind wir gefragt, unseren eigenen Standpunkt mit uns zu klären. Wir werden gezwungen, uns selbst zu begegnen.

 

Ist die Natur Kulisse für den ästhetischen oder bedürfnisgetriebenen Menschen? Wann und wie weist sie uns in die Schranken und macht uns zu hilflosen Statisten in ihrem unergründlichen Spiel? Wer kontrolliert hier wen?

 

DIE BÜHNE DER NATUR (Auszüge)

 

Text: Moritz Stangl

anlässlich der Ausstellung "WE GREW SOME EYES" in der Villa Merkel

Als ich Jonas Maria Ried näher kennenlernte, schlitterten wir einen Bergpass in den Alpen hinunter – mit dem Fahrrad. Jonas schlief nachts in einem Ein-Mann-Zelt, von dem der Regen so schlecht abgehalten wurde, dass sich darin nach kurzer Zeit Pfützen bildeten. Am nächsten Morgen erklärte er mir, er mache Liegestütze, bis seine Körperwärme die Luft im Zelt aufgewärmt habe. Dann verdampfe die Feuchtigkeit in den Pfützen schon von allein, sodass man es unten recht trocken habe, bis das Kondenswasser gegen Morgen wieder von der Zeltdecke zu tropfen beginnt. Ich glaube, dass uns diese Anekdote auch etwas über Jonas Maria Rieds Arbeiten verrät. Seine künstlerische Herangehensweise kann man vielleicht als den humorvollen und verzweifelten Versuch verstehen, Natur auf experimentelle Weise zu re-inszenieren.

Die krude Idee, in seinem Schlafzelt ein Mini-Ökosystem aus Regen und Verdunstung zu erschaffen, ist nichts anderes als die alltägliche Facette eines gleichermaßen experimentellen wie theatralen Verhältnisses zur Ökologie.

[...]In seinen Arbeiten verfremdet Jonas Maria Ried immer wieder die dominanten Naturbilder des 19. Jahrhunderts, aber nicht nur um sie ironisch in Frage zu stellen, sondern vielmehr um etwas davon in ein zeitgenössisches Denken zu übersetzen, das die Beziehung von Mensch und Natur in ganz anderen Begriffen von Vernetzung, Systemen, Interaktion und Kommunikation fasst. [...]Und unschwer ist in der Anekdote vom feuchten Zelt die Figur des Wanderers zu entdecken, der den Kontakt mit der rauen Natur sucht. In der Videoarbeit »Wassersturz« tritt Jonas Maria Ried als romantische Rückenfigur auf, die eine mächtige Felsklippe im Hintergrund betrachtet. Die Umgebung aus vermoosten ausgewaschenen Felsen, umgestürzten Bäumen, Eis- und Schneeresten macht den Eindruck einer rauen, wilden Natur.

Störend wirkt allein eine dünne weiße Linie in der Mitte des Bilds, die sich als Leine herausstellt, an der Ried zieht, um über einen nicht sichtbaren Mechanismus einen Wasserfall an der Felsklippe auszulösen - die erhabene Wirkung der Natur stellt sich als eine direkte Einwirkung des Subjekts heraus. Durch den Akt, mit dem die Rückenfigur direkt in die Naturszenerie hineinagiert, fällt die Natur gewissermaßen aus dem Bild – sie wird zur Theaterkulisse oder Modellbaulandschaft.

Die Natur ist bei Jonas Maria Ried offensichtlich keine, die sich vom Fenster aus betrachten lässt, sondern sie bedarf der aktiven Inszenierung.

[...]Seine Auseinandersetzung mit der Natur ist eine Arbeit mit der lebendigen Materie, aber als solche auch eine Arbeit an den Symbolen, Bildern und Metaphern, die diese Natur materiell formen. Der Prozess der »Re-Inzenierung« in Jonas Maria Rieds Arbeiten besteht in der permanenten Umformung der symbolischen und materiellen Formen der Natur, jenem »ständigen Austausch der Formen«, worin Bruno Latour die Aufgabe des Menschen im symbolisch-ökologischen System einer globalisierten Natur sieht.

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